Die Bucht an der Schleusenbrücke

Dies ist einer jener Orte, die glücklich machen können. Er hat still und heimlich und den jahrzehntelangen Umwälzungen zum Trotz an diesem Platz angedockt – und sich seitdem dort behauptet. Wer über die Schleusenbrücke Richtung Schlossplatz läuft, der sieht schon von Weitem die mächtige Eichen-Baumkrone. Folgt man dem Stamm nach unten, entdeckt man dort, inmitten des ununterbrochenen Getöses, Gehämmers und Gebrumms, das die Luft über der Baustelle auf dem Schlossplatz erfüllt – einen über all dies erhabenen Ort der Ruhe.
Eine Pforte im gusseisernen Geländer lädt ein, auf diese kleine Insel mit Baum abzutauchen. Die hohen Gräser glitzern im Sonnenlicht, ein kleiner Tisch mit Backgammon-Muster steht im Schatten der Eiche, und am Ast hängt eine Schaukel. Das Bild ist eine stumme, aber deutliche Aufforderung. Und warum eigentlich nicht gerade hier und gerade jetzt einmal kurz die Füße ins kühle Wasser halten, den Rücken auf dem Gras ablegen und den Kopf im Schatten kühlen?
Die Bucht ist von großen Steinen eingefasst. Hier und da schmücken angeschwärzte Konsolen die Mauer. Und wenn man es nicht weiß, kann man es kaum erahnen: Diese Mauer ist die Rückseite des enormen Sockels, auf welchem 1897 direkt gegenüber vom früheren Schlosseingang ein kolossales Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelm I. errichtet wurde.
Die Reiterstatue überstand Revolutionen und Kriege – und wurde 1950 abgetragen, um Platz zu schaffen für die von der DDR-Regierung geplanten Aufmärsche. Der Sockel mit den Stufen durfte stehen bleiben – genauso wie die Eiche, die als kleiner Samen irgendwann auf die Ausbuchtung unterhalb des Kaiser-Denkmals geschwemmt wurde, über die Jahre zu einem stattlichen Baum heranwuchs und irgendwann sogar über den Sockel guckte.

Erschienen in „111 Orte in Berlin,  die man gesehen haben muss – Band 2“, Emons Verlag, 2013, Köln

Adresse:
Schleusenbrücke, 10117 Berlin-Mitte


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