Lieblingsort:
Der Schlosspark, Schloss Charlottenburg, Spandauer Damm 20 – 24, 14059 Berlin-Charlottenburg

„Ich habe eine Lieblingsbank im Schlosspark – da sitze ich gern und träume ein wenig von vergangenen Zeiten, als die Damen in großen, bauschigen Kleidern durch den Park flanierten – und bilde mir ein, dies alles gehörte mir!“

Lo Graf von Blickensdorf

Auf der Visitenkarte prangt eine prächtige Krone auf dem gelbroten Wappen über der Schnörkelschrift. Damit steht fest: Der Graf macht keine halben Sachen. Das Wappen bastelte sich der Künstler und Autor an einem dieser Tage, als wieder einmal alles ziemlich mies lief, keine Aufträge, keine Anrufe. Und dann, ja dann kam eben eins zum anderen. »Fest steht«, so Lo Graf von Blickensdorf, »dass nicht ich mich zum Grafen gemacht habe, sondern die anderen. Ich habe immer gesagt, dass ich kein echter Graf bin.« Aber er musste ziemlich bald zugeben, dass es die Rolle seines Lebens ist. Die Visitenkarten waren seine einzige Ausgabe, seitdem lebt er von seinem Künstlernamen, schreibt Bücher über das Adeligwerden und spielt in Filmen mit. Ein Freund schickte ihn damals ins KaDeWe, damit er sich auch wie ein Graf kleidete. Er hatte allerdings nur 200 Euro dabei.
»Da zeigte ich meine Visitenkarte und sagte schüchtern, dass ich etwas zum Anziehen bräuchte, eine Erbschaft stünde ins Haus …« Das sei das einzige Mal gewesen, wo er ein bisschen geschwindelt hätte, gibt er zu. Aber es diente der Sache, und heraus aus der Drehtür kam ein völlig neuer Mensch: ein Gentleman mit Weste, Tweedjackett und Seidentuch. Seinen Stock mit dem silbernen Knauf bekam er eines Tages dazugeschenkt. »Seitdem erlebe ich jeden Tag Überraschungen, und zwar nur schöne!«
Eigentlich, so der Graf, komme er ja aus der Hausbesetzerszene. Aber na ja, Zeiten ändern sich, sagt er mit mildem Grafenlächeln. Jetzt bekommt er unzählige Einladungen zu Celebrity-Veranstaltungen, wird von Limousinen abgeholt, kann sich vor Frauen kaum retten, bekam bereits alte Schlösser und eine Bahncard geschenkt. Alles nur wegen dieses kleinen Namenszusatzes. Aber es ist ja nicht nur das: Der Graf nimmt einen sofort für sich ein mit seiner höflichen Art, seinem Stil und seinem Witz. Ein richtiger Vorzeige-Adeliger eben.

Erschienen in „111 Berliner, die man kennen lernen sollte“, Emons Verlag, 2016, Köln


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