Lieblingsort:
Unsere Bank, Große Hamburger Straße 26 – 27, 10115 Berlin-Mitte

„Auf dem Gelände des ehemaligen Jüdischen Altersheims steht eine Bank mit meinem Namen. Sie erinnert daran, dass mein Vater in unserem Keller damals jüdische Nachbarn versteckt hat. Manchmal gehe ich zu unserer Bank, setze mich hin und erinnere mich.“

Waldtraut Balzer

Versucht man durch die Spitzengardinen einen Blick nach innen zu erhaschen, sieht man von Zuckerguss glänzende Streuselschnecken, in Schokolade getunkte Liebesknochen, sieht man Spitzendecken und eine Kaffeemaschine, sieht man vollkommen aus der Zeit gefallene blaugraue Kacheln an der Wand – und sieht man hinter dem Tresen durch die offene Tür direkt hinein in die Backstube.
Denn hier wird alles selbst gebacken, jede Torte und jedes Brot. Und das ist Waldtraut Balzer zu verdanken. Sie hat damals in der Bäckerei bei den Eltern das Backen gelernt. »Von der Pike auf.« Das war auch schon in der Sophienstraße. An der Wand hängt ein großes Foto mit der Mutter und den drei Bäckermeistern. Dann ist die Mutter früh gestorben, und Waldtraut Balzer hat den Laden übernommen. Seitdem steht sie hier und verteidigt ihre Ware gegen die Backshops dieser Stadt.
Der Unterschied? »Ick kann Ihnen den Unterschied flüstern!« Zum Beispiel die Schrippen, sagt die 82-Jährige. Schrippen müssen rösch sein, oder nicht? Dazu braucht man Mehl, Wasser und Hefe. Und für die Rösche ein bisschen Biomalz. Das ist alles. Aber in den Schrippen seien ja heutzutage alle möglichen Zusatzstoffe drin, um das Brötchen außen knusprig zu machen und innen schön weich. »Aber die haben keinen Geschmack und innen: kein Nischt!«
Zu tun gibt es immer. Heute hat die amerikanische Botschaft ihre Bestellung mit Neujahrs-Pfannekuchen abgeholt. Zehn davon mit Senf. Als der Abholer wissen wollte, welche denn nun die zehn seien, zuckte Frau Balzer nur mit den Schultern. Das sei doch der ganze Witz dabei, dass man es eben nicht weiß!
Es stimmt schon, es gibt einen Trend zu gutem, selbst gebackenem Brot – aber nachts von 24 bis 6 Uhr an den Öfen stehen will anscheinend niemand dafür. Waldtraut Balzer sucht jetzt nach einem würdigen Nachfolger – ihre vielen Stammkunden werden es ihr danken.

Erschienen in „111 Berliner, die man kennen lernen sollte“, Emons Verlag, 2016, Köln


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