Lieblingsort:
Die Bergmannstraße, Bergmannstraße, 10961 Berlin-Kreuzberg

„Wenn ich mich schlecht fühle, fahre ich Fahrrad. Die Menschen geben mir Kraft. Dann geht es mir wieder gut. Die Bergmannstraße ist meine Lieblingsstraße.“

Aydin Akin

Schon von Weitem schrillt seine Trillerpfeife durch die Straße, dann fliegen einzelne, vom Megafon verzerrte Worte wie Wahlen, Steuerzahler und Ausländer herüber – und dann, ja dann ist Aydin Akin auf seinem Fahrrad auch schon vorbeigefahren. Auf dem Schild, das auf seinem Rücken hängt, kann man, wenn man schnell ist, noch lesen, worum es dem Lärmmacher geht: Suche wahre Demokratie.
Wenn man sich mit dem 73-Jährigen an einer Straßenkreuzung trifft, erklärt er jedem, der nachfragt, sein Anliegen: Als Berliner Türke kämpft er dafür, dass er als Steuerzahler in Deutschland kommunales Wahlrecht erhält. Und dafür ist er auf den Straßen unterwegs. Seit elf Jahren. Jeden Tag. Nach der Arbeit in seinem Büro als Steuerberater in Neukölln fährt Aydin Akin los, durch alle Bezirke, bis zu 40 Kilometer am Stück. Das macht insgesamt, und jetzt muss Aydin Akin einen kleinen Zettel aus der Hemdentasche holen, das macht also heute genau: 111.550 Kilometer.
»Wie man sieht, habe ich ein Stück weit die deutsche Disziplin angenommen«, er lacht kurz, wird aber gleich wieder ernst: »Aber die Dickköpfigkeit der Menschen am Schwarzen Meer, die habe ich behalten.« Denn es ist ihm durchaus sehr ernst mit seiner Mission. Es gehe ihm nicht mehr darum, für sich selbst etwas zu erreichen, räumt er ein. Aber jemand muss auf diesen Missstand aufmerksam machen, damit sich für die nachkommenden Generationen etwas ändert. Schließlich sei dies doch das Grundprinzip der Demokratie: die Teilhabe. Oder?
Schon muss er wieder los, denn Zeit ist für Aydin Akin ein knappes Gut: Er ist entweder auf der Arbeit oder im Dienst – so nennt er es, wenn er die Menschen in Berlins Straßen aufzurütteln versucht. »Ich muss noch Marx und Engels überholen«, sagt er lachend, und schon tritt er wieder in die Pedale und ruft ins Megafon: »Achtung, Achtung, wichtige Durchsage!«

Erschienen in „111 Berliner, die man kennen lernen sollte“, Emons Verlag, 2016, Köln


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