Lieblingsort:
Das Café Zazza am Zickenplatz, Schönleinstraße 7b, 10967 Berlin

„Hier kann ich fast das ganze Jahr lang morgens draußen in der Sonne sitzen und meinen Tee trinken – und kann dabei meinen Opel anschauen.“

Hanns-Lüdecke Rodewald

Wenn der Professor den rundum verbeulten und verrosteten Opel ganz vorsichtig – auch wegen der Mäuse, die unter der Motorhaube leben – aus der Parklücke in der Schönleinstraße auf den Anhänger zieht, dann sagen die Leute, die vorbei gehen: „Och – jetzt geht er von uns!“ oder „Eine ära geht zu Ende!“ – dabei fährt Hanns-Lüdecke Rodewald dann immer nur ein bisschen spazieren. Und das darf er nur außerhalb der Innenstadt. Denn eine Umweltplakette hat er nicht. „Aber nicht wegen der Abgase“, erklärt er. Denn schließlich bekämen ja auch andere Oldtimer das H-Kennzeichen für die Umweltzone und dürfen dann trotz älterer Motoren in der Innenstadt fahren. Es ist das äußere, das hier stört. „Er ist nicht schön genug“, sagt der Kreuzberger und betrachtet skeptisch das Moos, das wie grüne Farbtupfer aus den Ritzen wächst. „Wenn ich ihn wasche und poliere und den Rost entferne, dann würde ich auch die Plakette bekommen.“
Aber genau das möchte er eben gerade nicht. Denn hier geht es um etwas anderes. Irgendwann, sagt Hanns-Lüdecke Rodewald, war ihm klar geworden, dass er ab jetzt nicht mehr eingreifen würde in die Veränderung des Autos. Es war ein Experiment geworden. Von da an blieben die Beulen und der Lack ermattete. Gewaschen wurde das Auto zum letzten Mal 1977. „Es hat mich einfach interessiert, was passieren wird“, sagt er und versichert: „Ich will wirklich keinen ärger machen.“ Aber das war leicht gesagt. Denn ein ungewaschenes Auto scheint zwangsläufig zum ärgernis zu werden.
Die Polizei ließ den Opel zwangsstilllegen mit der Begründung: „Autowrack kraft Vermutung.“ Aber das äußere täuschte. Der Wagen fährt bis heute einwandfrei. Und zwar fast komplett mit Originalteilen. Nur einige Schrauben und ein paar Bleche hat der Fahrzeugtechniker im Laufe der Jahre ersetzt. „Er ist eben ein echter Oldtimer!“, sagt der Professor stolz. Nachdem er die Zwangsstillegung rückgängig machen konnte, indem er einen Sachverständigen beauftragt hatte, der befand: „Das Auto ist kein Schrott“, erhielt Hanns-Lüdecke Rodewald dann irgendwann einen Bescheid vom Ordnungsamt: Der Wagen verstoße gegen das Abfallbeseitigungsgesetz und stelle somit eine „Beeinträchtigung des Straßenbildes dar“. Das war vielleicht der Zeitpunkt, überlegt Hanns-Lüdecke Rodewald, an dem es dann für ihn kein Zurück mehr gab. „Wo steht denn geschrieben, dass ich mein Auto waschen muss?“ – und der ruhige zurückhaltende Professor klingt einen Moment lang richtig beherzt und beinahe kämpferisch. Doch dann wird er gleich wieder ernst und erzählt weiter: Die Umweltzone! 14 Strafzettel wegen fehlender Plakette hat er schon erhalten. Zahlen musste er keine einzige Strafgebühr, selbst das Gericht hat befunden: Ein parkendes Auto verursacht keine Abgase.
Aber inzwischen hatte sich noch etwas ganz anderes daraus entwickelt: In seinem Labor für Fahrzeugtechnik tüftelten in der Zwischenzeit fleißige Studenten daran, das Experiment des Professors wissenschaftlich einordnen zu können. Ein neuer Begriff hielt Einzug in den Semesterarbeiten der HTW. „Untersuchung zur Patina an automobilem Kulturgut“ hieß es da zum Beispiel. Der Professor und die Studenten hatten eine Formel erarbeitet, um den Grad der Patina berechnen zu können: Lackwerte, Bremstüchtigkeit – all dies fließt da als Wert mit ein und am Ende ergibt sich der Patinagrad. Ein Neuwagen bekäme immer einen glatten Wert: 0 Prozent. „Patina ist ja nichts Schlechtes“, so Hanns-Lüdecke Rodewald. Sie ermittle eben bloß einen anderen Wert. Schließlich könne er zu jeder Beule seines Opels eine Geschichte erzählen. „Und ich schaue ihn mir eben auch einfach gerne an. So, wie sich vielleicht andere Menschen an ihrem Garten freuen.“ Er geht gedankenversunken um das Auto herum, hält inne und sagt erfreut: „Hier kommt jetzt wieder die Gelbflechte“ und dann prüft er noch im Vorbeigehen den Außenspiegel.
Und es stimmt: Während rundherum in immer schnellerem Tempo Altes einfach verschwindet und durch Neues ersetzt wird, ragt der Opel in der Schönleinstraße hervor wie ein alter eherner Stein, der vom Lauf der Zeit erzählt. „Scheitern wird er eher an behördlichen als an technischen Restriktionen“, sagt der Professor noch, und, dass er weiter dafür streiten wird, dass sein ehemals veronagrüner Lebensmittelwagen in Würde altern darf.

Erschienen im Tagesspiegel am 10.4.2017: http://www.tagesspiegel.de/berlin/berliner-originale-mit-moos-gelbflechte-und-patina/19632948.html


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