Lieblingsort:
Alt-Lübars, 13469 Berlin-Reinickendorf

„Hier bin ick jeborn – ne richtige Landpomeranze – und dann, als wir in die Prinzenstraße jezogen sind, icke mit meen zwei Zöpfen! Dit war n Ding!“

Inge Schulze

Das Knattern des kleinen orangenen Dreirad-Transporters, der direkt vor der Kneipe zum Stehen kommt, lässt die meisten Gäste draußen an den Tischen nur kurz aufhorchen. „Ah“, nicken sie sich zu, „da isse ja!“ Und kurz darauf erklingt dann auch schon ihre Stimme. „Mutti ist da!“ ruft Mutti gutgelaunt. Sie hat die Hände in die Hüften gestemmt und lässt ihren Blick über die Gäste schweifen. „Es geht gleich los, Kinderchen. Ick mach ma eben das Tablett fertig!“

In ihrem Wagen hat Inge Schulze alles in Fächern und Schubladen gut sortiert. Sie richtet an: belegte Brötchen, Bouletten, Essiggurken und Knacker. Und einen großen Topf Senf. Dann geht es los. Mutti geht von Tisch zu Tisch, verkauft ihre Schrippen – und schäkert mit allen. „Na, wieder on Tour?“ – „Du kennst ma doch – ick lass euch doch nich’ hängen!“ Die meisten Stammgäste kennt die 77-Jährige mit Namen. Sie selbst ist schon lange einfach nur die Schrippenmutti, oder kurz: Mutti.

Und Mutti kennt die Berliner Nacht wie keine andere. Wie viele Kneipen und Bars die Weddingerin jede Nacht zwischen 21:00 und 5:00 Uhr morgens besucht und versorgt, kann sie selbst gar nicht genau sagen. Es kommen ja auch immer neue dazu. Die Nacht ist ihr Metier. Nachdem sie 20 Jahre als Krankenschwester nachts gearbeitet hatte, ging das auch gar nicht mehr anders, erklärt sie. Und dann nach einer kleinen Pause hängt sie noch ein „Ach, hör ma uff!“ an. Diese Gespräche an den Kneipentischen, die von Sprüchen und Witzen, von Schoten, Kalauern und Schulterklopfern nur so bersten, die genießt Mutti, das kann man ihr ansehen.

Wenn sie unterwegs ist, hat sie im Angebot: Schrippen und Stullen, meist mit Hackepeter oder einer dicken Scheibe Jagdwurst. Natürlich auch Käse. „Nur vegan mach ick nich’“, sagt sie. Das Essen, fährt sie fort, das Essen sei wichtig. Die Italiener und die Türken zum Beispiel, die essen immer beim Trinken – und sitzen dann bis zum Schluss aufrecht und gerade. „Nur die Deutschen, die liegen fast immer irgendwann mit dem Kopp uffm Tresen!“ Und deshalb kümmert sich Inge Schulze und versorgt die Stampen dieser Stadt. Da kommt jemand am Tisch vorbei, an dem Mutti jetzt kurz Zigarettenpause macht. Sie guckt nur kurz hoch: „Na, gehste schon Bettchen? Nee, wa?“ Sie lachen. Sie hat Achim schon kurz angerufen, dass es heute ein bisschen später wird. „Meine Kunden“, sagt sie mit ernster Mine, „die darf ich nicht im Stich lassen.“

Und jede Nacht endet ihre Tour am Bahnhof Zoo, wo die Obdachlosen die Schrippenmutti mit ihrem Tucker-Transporter schon erwarten und vor ihrem Mutti-Mobil anstehen, wenn sie ihre restlichen Schrippen und Knacker an alle verteilt.

Dann fährt Inge Schulze noch weiter zum Großmarkt und kauft Nachschub für die nächste Runde. Zuhause angekommen, wird sie sich, wie jeden Morgen, ein Bier und einen Aschenbecher vor sich auf den Tisch stellen – und so ihre Tour ausklingen lassen.

Ob sie ein Lieblingslokal in der Stadt habe? Die Antwort kommt schnell und ohne Nachdenken: „Nee – Mutti doch nicht! Mutti hat NUR Lieblingslokale!“


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