Der Comenius-Garten

Die Holzpforte ist nicht sehr hoch, aber verschlossen. Wer zum ersten Mal hier ist, steht ratlos vor der Tür und sieht dahinter Menschen unter blühenden Apfelbäumen spazieren oder auf breiten Bänken in der Sonne liegen. Dieser Ort der Ruhe und Beschaulichkeit mitten in Neukölln scheint unerreichbar zu sein. Doch es dauert nicht lange, bis jemand kommt und das Geheimnis preisgibt. Der Türöffner ist ein kleiner silberner Knopf. Und schon beim nächsten Besuch, gehört man zu den Eingeweihten: Die Tür summt, das Schloss gibt nach – und man betritt den schmalen, aber üppigen Garten.
Er passt in die ländliche Idylle, die ihn umgibt: alte Gehöfte, Fachwerkhäuser, und Kopfsteinpflaster. Das Böhmische Dorf wurde hier 1737 von Religionsflüchtlingen gegründet – und der Comenius-Garten ist nach den Vorstellungen des Gelehrten und letzten Bischofs der Böhmischen Brüdergemeinde, Johann Amos Comenius, angelegt. Er soll Philosophen- und Schulgarten sein – und vor allem: für alle zugänglich.
Comenius forderte Bildung für alle und dies frei von Zwang. Damit war der Theologe seiner Zeit weit voraus. Rund um den Richardplatz ist der Lebensweg der Menschen nach Comenius in mehreren Stationen veranschaulicht. Und im Comenius-Garten selbst sind die schulischen Etappen umgesetzt, die den Menschen prägen. »Alles fließe aus eigenem Antrieb« – lautet ein Titel seiner pädagogischen Lehre. Das Staunen, so kann man Comenius interpretieren, ist der Antrieb für die Erkenntnis.
In diesem Sinne entstand vor einigen Jahren in dem Garten im Böhmischen Dorf auch ein neues wissenschaftliches Forschungsfeld: die Wunderforschung. Ein außergewöhnliches Experiment einer sehr außergewöhnlichen Forschergruppe: Kinder aus Neukölln, Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut und Künstler aus der ganzen Welt sammeln und präsentieren gemeinsam: Wunder.

Erschienen in „111 Orte in Berlin,  die man gesehen haben muss“, Emons Verlag, 2011, Köln

Adresse:
Der Comenius-Garten, Richardstraße 35, 12043 Berlin-Neukölln


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